80 Arbeitsstunden pro Woche sind keine Seltenheit für Manfred Reichert. Freie Wochenenden kennt er kaum. Und doch hat der gelernte Metzger und Selfmade-Brauer aus Oberfranken in den vergangenen Wochen und Monaten zahllose Extraschichten eingelegt und in einer beispiellosen Aktion sein ganzes Dorf mobilisiert, um Hilfe für die Ukraine zu organisieren. Denn das kriegsgebeutelte Land ist die Heimat seiner Freundin Iryna. Die war gerade auf Heimatbesuch bei Verwandten, als Ende Februar die ersten Bomben fielen.
Kriegsausbruch in der Ukraine: Freundin war vor Ort
Das letzte Vierteljahr hat Manfred Reichert viel Kraft gekostet – physisch wie psychisch. Während die meisten das Leid der Menschen in der Ukraine nur von den Fernsehbildern kennen, erlebt es der 52-Jährige aus nächster Nähe. Denn seine Partnerin Iryna, mit der er seit acht Jahren liiert ist, stammt aus dem Land, das seit Ende Februar von einem russischen Angriffskrieg heimgesucht wird. Zu Weihnachten war sie in die Ukraine gefahren, um bei ihrer Familie zu sein. Dort wurde sie allerdings vom Krieg eingeholt. Zwar ist ihr Heimatort in der Nähe von Lwiw bisher von Bomben verschont geblieben, der Krieg ist aber auch dort allgegenwärtig. Mehrmals täglich heulen die Sirenen, dann muss sie sich in einem Keller in Sicherheit bringen.
„Das ist Wahnsinn. Wir haben viel Angst“, sagt die 45-jährige in einem Video, das sie in ihrem Heimatort gedreht hat und das auf der Facebookseite der Uetzinger „Metzgerbräu“ zu finden ist. Irynas 25-jähriger Sohn darf das Land nicht verlassen, weil er im wehrpflichtigen Alter ist und sich für einen möglichen Militäreinsatz zur Verfügung halten muss. Deshalb hatte sich auch Iryna, die normalerweise im Halbjahres-Turnus zwischen der Ukraine und Uetzing pendelt, dazu entschlossen vorerst in ihrer Heimat zu bleiben. Sie wollte ihrer Familie beistehen und vor Ort Hilfe organisieren.
Hilfe für die Ukraine: Das ganze Dorf unterstützt den Brauer
Vom oberfränkischen Uetzing, einem Gemeindeteil von Bad Staffelstein, aus unterstützt sie ihr Lebensgefährte Manfred Reichert, wo er kann. Seine ursprüngliche Idee war es, in der eigenen Metzgerei Gulaschdosen für die ukrainischen Soldaten vorzubereiten. Daraus ist quasi über Nacht eine beispiellose Hilfsaktion geworden, bei der das ganze 500-Einwohner-Dorf mit anpackte. Manfred Reicherts Hilfaufruf auf Facebook war sofort auf riesige Resonanz gestoßen. Schnell reichte seine eigene Garage für all die Spendengüter nicht mehr aus. Man musste kurzerhand das alte Feuerwehrhaus am Ort als Lager nutzen. Gemeinsam mit seinen Angestellten und vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern sortierte und verpackte Manfred Reichert all die Sachen, um sie in die Ukraine zu liefern: warme Kleidung, Parkas, Jacken, Mäntel, festes Schuhwerk, Stiefel, Handschuhe, Knieschützer, Schlafsäcke, Decken und Kissen, haltbare Lebensmittel wie Schokolade, Energieriegel, Tee, Kaffee, Tütensuppen, aber auch Verbandsmaterialien, Einmalhandschuhe und ausrangierte Feuerwehrhelme.
Gemeinsam mit Familie und Freunden fuhr Manfred Reichert mit mehreren bis oben hin beladenen Fahrzeugen nach Prag. Dort wurden die Hilfsgüter in einen Reisebus umgeladen, mit dem ein guter Freund von Iryna üblicherweise auf der Route Kiew-Prag unterwegs ist. In der Ukraine wurden sie dann an Soldaten und Bedürftige verteilt. Fünf solcher Transporte hat der oberfränkische Brauer seit Kriegsbeginn bereits organisiert, um Hilfe für die Ukraine zu ermöglichen. Darüber hinaus hat er persönlich den 13 Jahre alten VW-Passat seiner verstorbenen Mutter in die Ukraine überführt, um ihn vor Ort als Militärfahrzeug zur Verfügung zu stellen.
Brauer aus Uetzing schickt Spenden und Bier als Hilfe für die Ukraine
Neben den üblichen Hilfsgütern fanden so auch 1000 Wurstdosen aus der eigenen Metzgerei und 130 Fünf-Liter-Fässer mit dem hauseigenen Bier ihren Weg in die Ukraine. Das Bier ist für die ukrainischen Soldaten gedacht. „Vielleicht hilft es, die Motivation zu erhalten“, hofft Manfred Reichert. Die sei überhaupt auch bei der normalen Bevölkerung unermesslich groß, stellt er bewundernd fest. Und genau das motiviert wiederum ihn zu helfen. Und natürlich die Liebe zu seiner Iryna, die er in den vergangenen Monaten fast ausschließlich übers Handy gesehen hat. Vor einigen Wochen hat sie ihn in Uetzing besucht, musste dann allerdings für einen medizinischen Eingriff in die Ukraine zurückkehren. Umso glücklicher ist Manfred Reichert, wenn er sie in den nächsten Tagen hoffentlich wieder in die Arme schließen kann.
Einige von Irynas Verwandten – ihre Tochter und ihre Schwägerin mit kleinen Kindern – hat Manfred Reichert inzwischen bereits als Kriegsflüchtlinge bei sich aufgenommen. Seine Stieftochter konnte er als Aushilfe anstellen, so dass sie ihm mittlerweile im Geschäft unter die Arme greift. Hilfe kann Manfred Reichert schließlich immer gebrauchen. Denn der 52-Jährige ist ein wahrer Tausendsassa. Neben der Metzgerei, die er von den Eltern übernommen hat, und einem Tante-Emma-Dorfladen, betreibt er nämlich auch noch eine eigene Hausbrauerei mit kleiner Gastwirtschaft. Zum Brauen ist er eher durch Zufall gekommen: Vor 20 Jahren hat er bei einem Bücherversand geordert und dabei ein Angebots-Buch übers Hobbybrauen „einfach mal mitbestellt“.
„Metzgerbräu“ in der Fünf-Liter-Dose auch online bestellbar
Die Begeisterung und Ehrgeiz waren geweckt, die ersten Brauversuche vielversprechend. Schnell hatte der Selfmade-Brauer ein Rezept für ein süffiges fränkisches Bier entwickelt, das bei Freunden und Familie gut ankam. Die Anmeldung einer eigenen Brauerei im Jahr 2004 war da nur der logische nächste Schritt. Gebraut wurde jahrelang im Wurstkessel. Weil die Nachfrage aber stetig stieg, reichte der irgendwann nicht mehr aus. Im Zuge eines Neubaus von Geschäfts- und Wohnräumen richtete sich Manfred Reichert 2012 ein eigenes Sudhaus mit angeschlossener Gastwirtschaft ein. Stolze 1150 Hektoliter Bier braut er dort mittlerweile jährlich.
Als „Metzgerbräu“ hat er sich längst im Umkreis einen Namen gemacht. Sein selbstgebrautes Bier findet – genau wie sein berühmter Räucherschinken – inzwischen reißenden Absatz. Doch auch wer nicht aus der Umgebung von Bad Staffelstein stammt, kann in den Genuss des „Metzgerbräu“-Bieres kommen. Im eigenen Onlineshop gibt es das „Metzgerbräu“-Lagerbier in der Fünf-Liter-Dose von Envases zu bestellen. Allerdings nicht in den Sommermonaten – der Aufwand für einen gekühlten Versand ist für Manfred Reichert nicht machbar. Deshalb genießt man das „Metzgerbräu“-Bier derzeit nur in Uetzing und Umgebung – und dank Manfred Reicherts Hilfstransporten auch in der Ukraine.