Die mehrstöckige Backsteinanlage säumt fast den gesamten Straßenzug. Efeu schlängelt sich zwischen Rundbogenfenstern empor, aus den schlanken Schornsteinen neben den Bahngleisen steigt weißer Rauch auf. Auf der anderen Seite des Hofes, den ein kreisrund gepflastertes „W“-Emblem ziert, führt eine breite Treppe hinauf zum Eingangsportal einer stuckverzierten Villa. Zwischen beiden imposanten Gebäuden duckt sich ein kleines Pförtnerhäuschen mit der Aufschrift: „Herzlich Willkommen in der Welt der Weyermann Spezialmalze„. Die denkmalgeschützte Mälzereianlage wäre ohne Zweifel die perfekte Filmkulisse für eine Industriellensaga aus dem letzten Jahrhundert. Tatsächlich aber beherbergt sie heute modernste Technik und Logistik. Von hier aus liefert Weyermann als Marktführer im Spezialmalz-Bereich individuelle Braumalze in über 135 Länder auf der ganzen Welt.
Individuelle Braumalze für 135 Länder
Die weit geöffneten Eisentore rechts und links des Pförtnerhäuschens senden eine eindeutige Botschaft: Besucher sind hier (wenn nicht gerade Corona es einschränkt) immer willkommen! Genauso offen wie die Eingangspforte ist auch der Geist, der in dem Unternehmen herrscht. Und den vor allem eine Frau auf unnachahmliche Weise verkörpert: Geschäftsführerin Sabine Weyermann. Mit 27 Jahren, kurz nach Abschluss ihres Studiums des Brau- und Getränkewesens in Freising, übernahm sie 1985 den Betrieb. Seit vier Generationen ist dieser bereits in der Hand ihrer Familie. Durch ihr unternehmerisches Geschick und die Rückbesinnung auf die Kernkompetenz Spezialmalze hat sie das Unternehmen als Weltmarktführer etabliert. Über 85 Malzsorten umfasst das Produktsortiment heute. In Abstimmung mit den Kunden entwickelt Weyermann zudem individuelle Braumalze ganz nach deren Wünschen und Bedürfnissen. Auf diese Weise beeinflusst die Traditionsmälzerei aus Bamberg den Geschmack unzähliger Biersorten rund um den Globus.
Ihr unermüdlicher Pioniergeist zeichnet Sabine Weyermann aus. Den hat sie sich auch von den Amerikanern abgeschaut. Zusammen mit ihrem Mann Thomas Kraus-Weyermann, der seit 1991 ebenfalls der Geschäftsführung angehört, reiste sie in den 1990er Jahren in die USA. Dort lernte sie die Craft Beer-Welt kennen. Beeindruckt war sie vor allem von der Kreativität, dem Mut und der Begeisterung der amerikanischen Selfmade-Brauer. Und sie erkannte sofort das Potential für ihr Unternehmen. Denn mit der aufstrebenden Craft Beer-Szene in den USA wuchs auch der Bedarf nach qualitativ hochwertigen, besonderen Malzen – inklusive kompetenter Beratung. Ein leistungsstarkes Distributionsnetz in den USA aufzubauen, war für das oberfränkische Familienunternehmen dabei die größte Herausforderung. Denn auch hier galt der unumstößliche Anspruch der Firmenchefin: „Auf uns müssen sich unsere Kunden jederzeit verlassen können.“
„Das Ohr ganz nah am Kunden“
Der Exportmarkt, der heute einen respektablen Anteil des Umsatzes ausmacht, hat Weyermann in den letzten Jahrzehnten einen großen Wachstumsschub beschert. Mit rund 57 Vertriebspartnern rund um den Globus, darunter allein zehn große Distributionszentren in den USA, ist das oberfränkische Familienunternehmen längst eine gesetzte Marke im Exportgeschäft. Sein Malz liefert es bis in die entferntesten Winkel der Erde – von den Lofoten bis in die Mongolei. Ihr Erfolgsgeheimnis erklärt Sabine Weyermann so: „Wir haben unser Ohr immer ganz nah am Kunden. Und wir gehen jederzeit auf seine individuellen Wünsche und Bedürfnisse ein.“
Das fängt schon damit an, dass Weyermann die benötigten Rohstoffe auch in überschaubaren Einheiten ausliefert. Denn schließlich sind die meisten neuen Brauereien noch ziemlich klein. „Um das Handling zu erleichtern – nicht jede Kleinbrauerei hat einen Gabelstapler – gibt es bei uns auch 25 Kilo-Säcke“, betont Sabine Weyermann, die dem kleinen Craft Beer-Brauer bei seinen ersten Schritten genauso gerne zur Seite steht wie dem erfahrenen Braugiganten.
Entscheidend ist für sie in jeder Hinsicht „der super enge Kundenkontakt“. Er ist die Voraussetzung, um intensiv beraten und individuelle Braumalze für den jeweiligen Kunden entwickeln zu können. „Dadurch helfen wir ihm, ein Bier zu kreieren, mit dem er sich ein Alleinstellungsmerkmal schaffen kann.“ Dafür hat Weyermann über Jahre eine anspruchsvolle Infrastruktur im Unternehmen aufgebaut. Diese reicht vom 15-köpfigen Laborteam über eine eigene Versuchsmälzerei bis hin zur Braumanufaktur. „Wir haben in allen Bereichen ein starkes kompetentes Team“, betont Sabine Weyermann.
Internationale Geschmacksinspiration für individuelle Braumalze
Der Teamgedanke ist überhaupt die Basis der Unternehmensphilosophie. Diversität ist dabei für die 63-jährige Firmenchefin ein Wert, der bei Weyermann seit vielen Jahren gelebt wird. Auf der Facebookseite des Unternehmens liest man neben freudigen Babynews aus der Unternehmensfamilie daher auch liebevolle Geburtstagsgrüße an den Braumanufaktur-Mitarbeiter aus Guatemala, die Reinigungskraft aus der Türkei oder den Mälzer-Lehrling aus Eritrea. Die 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 16 Nationen sind auch in Sachen Alter und Geschlecht eine bunte Mischung. Für Sabine Weyermann liegt genau darin der Schlüssel zum Erfolg: „Durch unser fränkisch-internationales Team kennen wir die unterschiedlichsten Geschmäcker und Vorlieben. Dieses Knowhow hilft uns dabei, individuelle Braumalze für unsere Kunden zu entwickeln.“
Neben der zuverlässigen und punktgenauen Lieferung legt man bei Weyermann größten Wert auf die konstant hohe Qualität der Produkte. Dabei setzt das Unternehmen auf ein eigenes Braugersten-Anbauprogramm. Die 500 Landwirte, die seit vielen Jahrzehnten an Weyermann liefern, kennt die Chefin alle persönlich. Genauso wie den Sack- oder Palettenhersteller. „Wir auditieren alle unsere Lieferanten. Wo ‚Weyermann‘ drauf steht, gelten überall unsere höchsten Qualitätsstandards.“ Schließlich ist der Anspruch des Unternehmens kein geringerer als „eine verlässliche Konstante im Leben aller Brauer“ zu sein.
Der Branche immer einen Schritt voraus
Dass Weyermann der Branche immer einen Schritt voraus ist, dafür setzt sich auch Tochter Franziska mit viel Herzblut ein. Seit 2017 arbeitet sie als fünfte Generation im Unternehmen mit. Genau wie ihren Eltern ist es auch ihr wichtig, dass das Traditionsunternehmen mit der Zeit geht. Deshalb lässt sie zum Beispiel gerade alle internen Dokumente gendern, sucht nach energieeffizienten Produktionslösungen und tüftelt an digitalen Möglichkeiten auf dem Weg zum papierlosen Unternehmen.
Das jahrhundertealte Familienunternehmen empfindet Franziska Weyermann nicht als Bürde, sondern als „festen Anker“. Dass sie eines Tages in die Fußstapfen ihrer Mutter treten wird, steht daher außer Frage. Auch wenn die weltweite Pandemie das Unternehmen, unter anderem in Sachen Transportlogistik, zuletzt vor ganz neue Herausforderungen gestellt hat – Franziskas Motivation hat das keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil. Das liegt nicht zuletzt an dem Optimismus und Pioniergeist, den ihre Mutter selbst in anstrengenden Zeiten zu vermitteln weiß. Allen Kunden, Branchenkollegen und Familienunternehmern rät Sabine Weyermann daher ebenfalls aus tiefstem Herzen: „Erzählt der nachfolgenden Generation mehr von den Chancen als von den Schwierigkeiten!“