In Sachen Hopfen und Malz macht ihr keiner was vor: Die leidenschaftliche Biersommelière Anja Kober-Stegemann kennt nicht nur die Biertrends 2022, sondern auch das passende Bier zu jedem Essensgericht. Warum alkoholfreie Biere immer beliebter werden, wie man speziell Frauen für die „Hopfenkaltschale“ begeistert und was ein schönes Glas und das Minikeg mit dem perfekten Biergenuss zu tun haben, verrät sie uns im Interview.
Biertrinken als Beruf – für viele (vor allem Männer) sicherlich ein Traum! Frau Kober-Stegemann – wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, Biersommelière zu werden?
Anja Kober-Stegemann: Ich war fast 25 Jahre in großen Telekommunikations-Konzernen angestellt, viele Jahre davon in leitender Position. Irgendwann hatte ich das Gefühl: Da muss noch was anderes kommen! Zeit für einen Wechsel also – und diesmal wollte ich ganz meiner Passion folgen. Durch Zufall wurde ich 2016 durch Freunde auf den Biermarkt aufmerksam. Ich selbst war damals noch keine passionierte Biertrinkerin. Als mein Interesse einmal geweckt war, stand ich im Getränkemarkt und habe quasi einmal das gesamte Bierregal gekauft und mich durchprobiert. Diese Geschmacksvielfalt war eine Offenbarung und meine Leidenschaft für Bier endgültig geweckt! Also ließ ich mich von der IHK zur Bierbotschafterin und anschließend bei Doemens zur Bier-Sommelière ausbilden. Seitdem setze ich in Braukursen, Tastings und Seminaren alles daran, möglichst viele Menschen für dieses unglaublich vielfältige Getränk zu begeistern.
Jahrtausendealte Brautradition
„Eigentlich trinke ich gar kein Bier.“ Diesen Satz hört man von vielen Frauen. Bier gilt vorwiegend als „Männergetränk“. Woran liegt das und war das schon immer so?
Das liegt vor allem daran, dass wir Frauen von klein auf so sozialisiert werden: Sämtliche Bierwerbung zielt nur auf Männer ab, in Filmen trinken Frauen so gut wie nie Bier, auf Firmenevents oder privaten Partys werden Frauen nicht gefragt „Welches Bier willst Du?“, sondern eher „Hugo oder Aperol Spritz?“ oder „Rotwein oder Weißwein?“ Dabei war das Bierbrauen früher vor allem Frauensache: Luthers bessere Hälfte Katharina von Bora, Hildegard von Bingen und viele andere berühmte Frauen waren sehr versiert darin. Historiker gehen davon aus, dass schon vor über 10.000 Jahren Bier gebraut wurde. Und 9500 Jahre davon haben vorwiegend die Frauen gebraut! Noch vor 500 Jahren gehörte zur Mitgift traditionell ein Sudkessel. Wenn ich mir dagegen heute die Branche und die Trinkvorlieben anschaue, frage ich mich oft: Wo in der Geschichte sind wir da bloß falsch abgebogen?!
Welche Biersorte empfehlen Sie Frauen, die eigentlich kein Bier trinken?
Grundsätzlich kann ich jeder Frau – und auch jedem Mann – nur empfehlen, sich einfach durchzuprobieren, um das persönliche Lieblingsbier zu finden. Viele Frauen mögen anfangs vielleicht den eher herben Pilsgeschmack nicht, aber es gibt noch so viele andere Geschmacksnuancen – seien es spritzige, säuerliche, süßliche Biere und natürlich die breite Palette an Craftbieren. Die Biertrends 2022 gehen weg von den klassischen Durstbieren, hin zu Genießerbieren. Ganz wichtig ist für mich – wie übrigens für viele Frauen – das richtige Glas. Ein schwerer Bierhumpen schreckt da eher ab, wenn nicht gerade ein Helles drin ist. Dabei kann man Bier auch stilvoll aus einem filigranen, schön geformten Glas genießen, in dem sich die Aromen optimal entfalten. Zum Bier auch gleich das passende Glas mit anzubieten, ist ein cleverer Schachzug, den manche Brauereien inzwischen nutzen.
Bier als exquisites Genussgetränk: So gewinnt man Frauen als Zielgruppe
Lohnt es sich für Brauereien, Frauen als Zielgruppe mehr in den Fokus zu nehmen?
Davon bin ich überzeugt! Aber bitte nicht mit pinken Etiketten oder ähnlichem! Es geht vielmehr darum, auch Frauen für das vielfältige Geschmacksspektrum des Bieres zu begeistern. Es ist inzwischen üblich, dass man bei einem guten Essen den Wein auf die Speisen abstimmt. Das ist mit Bier genauso möglich! Dafür muss man die Frauen sensibilisieren – denn meistens sind sie es, die sich um die Essenszubereitung und Menüplanung kümmern. In meinen Tastings erlebe ich immer wieder diesen Überraschungseffekt – gerade bei Frauen: „Wow, DAS ist Bier?! Ich wusste gar nicht, dass das SO schmecken kann!“ Wenn man es aus der reinen „Wirkungstrinker-Ecke“ herausholt und in die „exquisite Ecke“ bringt, erreicht man mit Bier durchaus auch bisher nicht biertrinkende Frauen!
Was ist Ihr persönliches Lieblingsbier?
Die Frage kann ich ganz einfach beantworten: immer das nächste! Denn beim Bier gibt es ein so unglaublich großes Spektrum an Aromen und Geschmäckern – da lasse ich mich gerne immer wieder aufs Neue überraschen!
Biertrends 2022: säuerlich-spritzige Biere sind im Kommen
Was sind die Biertrends 2022?
Aktuell sind untergärige Biere sehr gefragt, kalt gehopft in der Gärung. Diese Biere weisen oft ein höheres, meist fruchtiges Aroma auf. Auch Sauerbiere sind im Kommen. Bei solchen säuerlich-spritzigen Bieren, wie etwa der Berliner Weiße, werden Milchsäurebakterien zur Gärung eingesetzt, das gibt einen ganz eigenen Geschmack – der übrigens auch bei vielen Frauen gut ankommt. Und der ganze Craftbeer-Bereich ist natürlich nach wie vor hoch im Kurs. Zu der „Craziness“ der letzten Jahre kommen jetzt vermehrt Standardbiere ins Portfolio wie Pils und Helles, aber mit einem gewissen Twist.
Wie sieht es mit alkoholfreien Bieren aus?
Da passiert gerade sehr viel, besonders am englischen Markt. Aber auch bei uns wird alkoholfreies Bier immer beliebter, die Marktanteile wachsen stetig. In den letzten Jahren hat nicht nur die Sortenvielfalt, sondern auch der Geschmack einen riesigen Schritt nach vorn gemacht: Alkoholfreies Bier schmeckt heute nicht mehr nur malzig, sondern genauso gut wie ein alkoholhaltiges Bier! Das liegt daran, dass es inzwischen gute Methoden gibt, ein Bier ohne Alkohol zu brauen, bei dem die Malz- und Hopfenaromen trotzdem zum Tragen kommen. Damit lassen sich Zielgruppen erschließen, die bisher eher nicht dem Bier zugewandt waren: besonders gesundheitsbewusste Menschen etwa oder eben Frauen! Denn Frauen sind nun mal durch Schwangerschaft und Stillzeit oft mehrere Jahre gezwungenermaßen alkoholfrei unterwegs. Da sind alkoholfreie Biere in vielfältigen Geschmacksrichtungen eine willkommene Alternative!
Experimentierfreudige Kleinbrauereien als Vorreiter für die Biertrends 2022
Warum sind gerade die kleinen Brauereien oftmals die Vorreiter in Sachen Bier-Innovationen?
Die großen Biermarken stehen eben oft für eine bestimmte Art von Bier. Je etablierter eine Marke ist, umso schwieriger ist es, da auszubrechen. Das sieht man zum Beispiel sehr deutlich im Craftbeer-Bereich. Viele große Brauereien haben inzwischen auch einen Craftbeer-Arm, tun sich aber oftmals schwer damit – insbesondere die glaubhafte Abgrenzung mit der eigentlichen Kernmarke ist schwierig. Da sind die kleinen viel flexibler und auch experimentierfreudiger – und somit auch Vorreiter für die Biertrends 2022. Für sie ist es schließlich auch leichter, mal neue Sorten auszutesten und in kleineren Mengen zu produzieren.
Warum schmeckt frisch gezapftes Bier nochmal besser als aus der Flasche?
Das Zapfen erhöht die „Trinkability“ des Bieres, denn beim Zapfen löst sich mehr Kohlensäure im Bier, als beim Einschenken aus der Flasche – das Bier wird dadurch bekömmlicher.
Das Partyfass anzapfen als Gemeinschaftserlebnis
Beliebt während Corona und sicher auch einer der Biertrends 2022: Mit dem 5-Liter-Party-Fass kann man sich den Frisch-gezapft-Genuss ganz einfach nach Hause holen. Worin liegt für Sie der Vorteil bzw. der Reiz des Minikegs?
Bier mag kein Licht und keinen Kontakt zu Sauerstoff. Somit ist das Minikeg von Envases optimal, darin kann Bier problemlos auch über einen längeren Zeitraum gelagert werden. Gerade beim Bier muss man dem Mindesthaltbarkeitsdatum keine allzu große Bedeutung beimessen. Denn Bier kann eigentlich gar nicht schlecht werden. Es kommt lediglich vor, dass sich Farbe und Geschmack nach einiger Zeit verändern. Das kann sich wie beim Wein aber auch positiv auswirken. Vor allem malzigere Biere mit hohem Alkoholgehalt schmecken oftmals besonders samtig, wenn sie über Jahre lagern. Stark gehopfte Biere sollten allerdings besser frisch getrunken werden. Genauso wie ein Pils oder Kölsch.
Gemeinsam Bier trinken und vor allem auch selbst zapfen ist Ausdruck von Geselligkeit. Welche Rolle spielt dieser Aspekt für den Biergenuss?
Eine ganz entscheidende Rolle! Tatsächlich ist bei Blindverkostungen oftmals schwer ein Unterschied auszumachen zwischen eingeschenktem und gezapftem Bier. Es geht beim Bierzapfen also hauptsächlich auch um das „Drumherum-Gefühl“. Ich kann mich noch gut an mein erstes selbstgezapftes Bier erinnern – ich hab‘ mich damals gefühlt, wie eine Königin! Bierzapfen hat immer etwas mit Geselligkeit zu tun, mit einer entspannten Feier-Atmosphäre, mit Gemeinschaftsgefühl. Denn keiner setzt sich daheim allein vor sein 5-Liter-Fass und zapft sich sein Bier!
Ihr perfekter Bier-Genuss-Moment – wie würden Sie den beschreiben?
Ein sonniger Abend, nicht zu warm, in meiner Hand ein wunderschön geschwungenes Glas, darin ein perfekt temperiertes, leicht fruchtiges Bier, mit dem ich mit meinem Mann und unseren Freunden anstoße… Quasi „ein Schluck Karibik im Glas“ – das kommt meiner Vorstellung vom perfekten Biergenuss schon ziemlich nahe!