Urbane Bierkultur: Schanzenbräu macht’s vor

"Mein erstes Bier konnte man nicht trinken", erinnert sich Stefan Stretz lachend. Als 16-Jähriger hatte er im Kochbuch seiner Großmutter ein Rezept fürs Bierbrauen entdeckt, es einfach mal ausprobiert - mit mäßigem Erfolg. Doch er ist drangeblieben: Nach dem Abitur lernte er Brauer, setzte danach noch ein Ingenieurstudium für Brauerei-Technologie obendrauf, reiste später für den Job durch die Welt. Heute führt der 52-Jährige die Schanzenbräu, die mittlerweile größte Privatbrauerei in Nürnberg, die er 2004 gegründet hat.

Die urbane Bierkultur liegt Stefan Stretz am Herzen. Schon während seines Studiums in den 1990ern braut er zusammen mit der Bier Company in Berlin „allerhand verrückte Biere“. Für seinen Job als Prozessoptimierer für Wassermanagement bei einer großen Reinigungsmittelfirma reist er danach um die halbe Welt. Bis es ihn 2003 durch Zufall wieder in seine Heimatstadt Nürnberg verschlägt. Im Keller einer Hinterhofwerkstatt in der Bärenschanzstraße, in der seine Kumpels an amerikanischen Straßenkreuzern schrauben, braut er 2004 in ausgedienten Waschkesseln seinen ersten Sud. Aus dieser Zeit hat die Schanzenbräu auch ihren Namen und das Bärenlogo.

Aus Schrott die erste Brauerei gebaut

Das selbstgebraute Bier aus der Schanze kommt an, der Werkstattkeller wird schnell zu klein. 2007 zieht er deshalb in eine ehemalige Metzgerei im Stadtteil Gostenhof. Das Equipment für seine erste eigene Brauerei sammelt sich Stefan Stretz über die Jahre zusammen. Durch seinen Job ist er viel bei Brauereien, Molkereien oder Getränkebetrieben im In- und Ausland unterwegs. Und so manches, was er dort in Schrottcontainern findet, kann er gut gebrauchen. „Hier ein ausrangiertes Ventil, dort eine weggeworfene Klappe – so haben wir uns quasi aus Schrott unsere eigene kleine Brauerei gebaut.“ Es hat sich gelohnt: Der Ausstoß erhöht sich zusehends, das Bier aus Gostenhof findet auf den Stadtfesten im Umkreis reißenden Absatz.

Brau-Rebell Stefan Stretz hat nicht nur ordentlich Rock’n’Roll im Blut, sondern auch einen Sinn für Tradition. „Meine Heimatstadt liegt mir einfach am Herzen“, sagt der gebürtige Nürnberger. Deshalb ist ihm auch daran gelegen, dem heruntergekommenen Stadtteil Gostenhof neues Leben einzuhauchen. Mit seiner Schanzenbräu will Stretz ein Vorreiter sein in Sachen urbane Bierkultur. Dazu gehört auch eine urige Gaststätte. Die eröffnet er 2008 in einem leerstehenden Lokal, nur wenige Straßen von seiner Brauerei entfernt. Die „Schanzenbräu Schankwirtschaft“ ist ein Ort der Gemütlichkeit im guten alten Stil. Im holzvertäfelten Gastraum spielen an einem Tisch die Stammtischbrüder aus der Nachbarschaft Schafkopf, während sich am anderen eine Studentengruppe ihr Schäufele schmecken lässt.

 

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Schankwirtschaft pflegt die urbane Bierkultur

„Wir sind eine Nachbarschaftskneipe, in der man sich wohlfühlen soll“, beschreibt Stretz seine Philosophie. Daher dudelt in der „Schankwirtschaft“ auch keine Musik aus Lautsprechern. „Das Stimmengewirr, wenn sich die Leute unterhalten, ist für uns die schönste Musik“, erklärt der Brauerei-Chef. Mehr als zwölf Plätze werden nie als Reservierungen vergeben – schließlich sollen auch immer noch die Leute aus der Nachbarschaft spontan einen Platz finden und sich dazu setzen können. Zum jährlichen Brauereifest im Frühjahr kommen regelmäßig Tausende von Besuchern – „vom Punker bis zum Rentner“. Der Gostenhofer Weihnachtsmarkt, den die Brauerei mit veranstaltet, hat längst einen festen Platz im Veranstaltungskalender. Stretz und seine Schanzenbräu haben großen Anteil daran, dass sich das einstige „Glasscherbenviertel“ Gostenhof mittlerweile zum Nürnberger Szene-Viertel gemausert hat.

Urbane Bierkultur heißt für Stretz eben nicht (nur) hippe Szene-Kneipe, sondern urige Schankwirtschaft. Und auch bei seinen Bierkreationen springt er nicht auf den Craft Beer-Trend auf, sondern setzt auf traditionelle Sorten, die er modern interpretiert. Wie eben das Rotbier, eine typische Nürnberger Biersorte, quasi ein Urtyp des unfiltrierten Kellerbieres. Die hat Stretz mit seiner „Schanzenbräu“ aus der Versenkung geholt und weiterentwickelt. Das Schanzenbräu Rotbier zeichnet sich laut Stretz durch „seine endvergorene ausbalancierte Malzsüße und seinen fein-fruchtigen Hopfencharakter“ aus. Bei Biertrinkern und Experten kommt es jedenfalls hervorragend an: Beim Meininger’s International Craft Beer Award 2019 gab es dafür sogar eine Goldmedaille!

 

Schanzenbräu-Biere passen in keine Kategorie

Auch wenn er sich über die Auszeichnung freut, bleibt die Teilnahme an Bierwettbewerben für Stretz doch eher die Ausnahme. Denn er stellt fest: „Unsere Biere passen eigentlich in keine Kategorien.“ Das gilt genauso für den Brauerei-Chef selbst. Der experimentierfreudige Hinterhof-Brauer ist inzwischen zum Geschäftsführer der größten Nürnberger Privatbrauerei geworden. Zehn Jahre nach den ersten Brauversuchen im Waschbottich folgte der Spatenstich für den Schanzenbräu-Neubau in Nürnberg-Höfen. Bereits zwei Jahre nach der Eröffnung wurde 2018 das Tanklager aufgestockt, um neben den Hauptsorten noch weitere Spezialbiere brauen zu können. Neben Rotbier, Hellem, Kehlengold und alkoholfreiem Rotbier Radler hat die Schanzenbräu weitere limitierte und wechselnde Spezialbiere wie Roter Bock, Märzen, Rotes Weizen und Sommerbier im Angebot.

Brau-Rebell und Geschäftsmann. Craft Beer-Brauer und Traditionalist. Weltenbummler und Bayern Botschafter. Stefan Stretz lässt sich in keine Schublade stecken. Er ist vor allem eines: ein Teamplayer. 2020 hat er die Nürnberger Brau Gemeinschaft ins Leben gerufen, um mit einem gemeinsam gebrauten Bier, der „Zusammen Halbe“, nach dem Motto „Eines für alle, alle für eines“ der Corona-Krise zu trotzen. Aus der gemeinsamen Initiative von neun Nürnberger Brauereien ist mittlerweile ein Verein geworden, der sich dem Erhalt der Nürnberger Braukultur verschrieben hat. Die großen wie die kleinen gemeinsam an einen Tisch zu bringen, ist nicht immer ein leichtes Unterfangen. Nur zu gut kennt Stretz zum Beispiel die Vorbehalte gegenüber dem vermeintlichen Nürnberger Platzhirsch Tucher Bräu, wo er einst selbst gelernt hat. „Wir sind letztlich aber alle Brauer mit denselben Sorgen, Nöten und Herausforderungen. Wir haben alle eine Familie daheim.“

Auf deren Unterstützung kann sich Stretz immer verlassen. Seine Ehefrau und Kinder, sein Bruder und seine Eltern – sie alle stehen hinter der Schanzenbräu und geben ihm den nötigen Rückhalt. „Ohne sie hätte das alles nicht funktioniert.“

Auch wenn die erfolgreiche Schanzenbräu nicht vor Krisen gefeit ist („Während Corona hatten wir 30 Prozent Umsatzeinbußen, mussten mehrere Leute entlassen…“) und die allgemeinen Preiserhöhungen ihm Sorge bereiten („Für fast alle Roh- und Betriebsstoffe, wie Glas, Gas, Strom, Etiketten, Malz, zahlen wir aktuell gut 30 Prozent mehr!“) – Stefan Stretz ist überzeugt: Es geht immer irgendwie weiter. Deshalb appelliert er an seine Branchen-Kollegen, immer über den Tellerrand hinauszuschauen, sich auszutauschen und miteinander zu reden. Denn eines weiß der leidenschaftliche Rugby-Spieler aus eigener Erfahrung: „Man schafft es nur als Team.“