Verändert KI das Bierbrauen? – Ergebnisse der Envases-Umfrage

Das Medienecho war groß, als die Brauerei Beck’s im Frühjahr 2023 anlässlich ihres 150-jährigen Jubiläums „Autonomous“ präsentiert hat: Deutschlands erstes Bier, das mit einer Künstlichen Intelligenz entwickelt wurde. Es stieß mitten in die öffentliche Diskussion rund um ChatGPT, die seit Anfang des Jahres in vollem Gange ist. Seit vielen Menschen bewusst ist, was künstliche Intelligenz alles kann, ist ein heftiger Diskurs entbrannt, der von höchster Faszination und Begeisterung auf der einen Seite bis hin zu existenziellen Ängsten auf der anderen Seite reicht. Wir wollten wissen: Wie steht die Brauwelt zu dem Thema?

Der Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Denn kann Intelligenz wirklich künstlich sein? Intelligenz definiert sich allumfassend als Summe  kognitiver Prozesse wie Wahrnehmung, Lernen, Erinnern, Problemlösung, kritisches Denken und Entscheidungsfindung. Intelligenz wird durch eine Kombination von genetischen und Umweltfaktoren beeinflusst und kann durch Bildung, Erfahrung und Training verbessert werden. Zeichnet sich die menschliche Intelligenz also nicht durch eine perfekte Symbiose aus Intuition, Emotion, Empathie und Ratio aus? Lernen wir nicht genau deshalb, weil wir mit allen Sinnen und dem ganzen Körper wahrnehmen und im Bewusstsein verarbeiten? Wie könnte das eine Maschine ohne Emotion und Gefühl leisten?

Und warum fürchten wir Menschen uns so sehr davor, dass Maschinen plötzlich schlauer werden könnten als wir? Weil wir Intelligenz im Bezug auf KI allein auf die Rationalität beziehen. Und in diesem Bereich sind uns Maschinen bereits jetzt haushoch überlegen. Sie können Datenmengen verarbeiten, an denen das menschliche Hirn auf jeden Fall scheitert. Aber ist das allein schon Intelligenz genug? Wie kreativ, variabel und differenziert können Computer mit der Welt umgehen? Viele Ängste der Menschen gründen sich auf einem Mangel an Information. Verändert KI auch das Bierbrauen? Envases wollte es genauer wissen und hat daher im letzten Newsletter zu einer Umfrage rund um das Thema KI aufgerufen.

Verändert KI das Bierbrauen – die Envases Umfrage will es wissen

Die Umfrage richtete sich an Expertinnen und Experten aus der Brauereibranche und wollte anhand von zehn Fragen wissen, wie diese zum Thema KI in der Braubranche stehen. Knapp 80 Prozent der Umfrage-Teilnehmer arbeiten in Brauereien unterschiedlicher Größenordnung: 36 Prozent in einer kleinen Brauerei (mit bis zu 50.000 hl Ausstoß pro Jahr), 29 Prozent gehören einer mittelgroßen Brauerei (bis 500.000 hl/Jahr) und 14 Prozent einer Großbrauerei (über 500.000 hl/Jahr) an.

Was Envases besonders Interessierte war die grundsätzliche Einstellung der Befragten zum Thema KI beim Brauen. Sind die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eher skeptisch und haben sie sich bisher eher weniger mit Künstlicher Intelligenz befasst? Das Ergebnis der Umfrage fiel sehr positiv aus: 43 Prozent der Befragten haben sich selbst bereits gelegentlich oder sogar intensiv mit den Methoden der Künstlichen Intelligenz auseinandergesetzt. 21 Prozent der Befragten arbeiten in Unternehmen, die KI heute schon nutzen. Und auch die Prognose für die Zukunft ist sehr gut: Auf die Frage, ob KI zukünftig in der Braubranche eine große Rolle spielen wird, bejaht das die eindeutige Mehrheit.

Positiv oder negativ – wie verändert KI das Bierbrauen?

So einig man sich über den (zukünftigen) Einsatz von KI war, so unterschiedlich waren die Antworten, wenn es um die Folgen des Einsatzes geht. Während knapp 30 Prozent grundsätzlich mit einer Verbesserung aller Bedingungen rechnen, meinen 57 Prozent, dass sich positive und negative Auswirkungen die Waage halten werden. Bezogen auf die nächsten fünf Jahre sehen die meisten Befragten das größte Potenzial für den Einsatz von KI in ihrem eigenen Unternehmen in den Bereichen Marketing/Werbung und Marktforschung/Trends, knapp gefolgt von der Produktion, sowie bei Abfüllung/Verpackung und bei der Produktentwicklung. Im Rohstoff- und Qualitätsmanagement sieht aktuell niemand Möglichkeiten bzw. Bedarf Künstliche Intelligenz einzusetzen.

Gerade die Zurückhaltung, was die Produktentwicklung angeht, erstaunt. Hier vertrauen die Befragten offensichtlich der Künstlichen Intelligenz noch nicht genug, um ihr das Thema Rezeptur und Geschmack anzuvertrauen. Dabei wäre es grundsätzlich möglich die riesigen Datenmengen an Rezepten mit KI zu verwalten und vielleicht auch kreativ zu nutzen und zu verarbeiten.

Mit der Frage „Wird der Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Braubranche bis zum Jahr 2030 verändert haben?“ baten wir die Teilnehmer unserer Umfrage um ihre abschließende Einschätzung.


Ein Großteil der Befragten ist diesbezüglich noch unschlüssig: 42 Prozent antworteten mit „weiß nicht“. Wir werden alle noch etwas Erfahrung mit der neuen Technologie sammeln müssen, um eine klare Einschätzung zu haben. Offensichtlich ist jedoch auch, dass deutlich mehr eine positive als eine negative Veränderung sehen. Die Brauereien sind offen für Neues und hier liegt sicherlich das größte Potential!

KI und Brauerei: Die besten Ergebnisse erzielen Mensch und Maschine gemeinsam

Auch wenn die Befragten der Envases Umfrage den Einsatz von KI im Bereich Rezeptur noch nicht sehen, ist das Thema Rezept-Datenbank ein Thema, was Softwareentwickelnde und KI-Forscher bereits umtreibt. Einer von ihnen, der diese Frage aufgrund seiner Forschungsergebnisse realistisch einschätzen kann, ist Marc Bravin. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Algorithmic Business Research Lab an der schweizerischen Hochschule Luzern. Dort befasst sich ein Studienschwerpunkt seit Jahren mit dem Thema Künstliche Intelligenz.

Marc Bravin

Marc Bravin, KI-Forscher an der Hochschule Luzern.

Zusammen mit einem Forschungsteam und externen Partnern – einer Brauerei und einem Softwareunternehmen – hat Marc Bravin bereits 2020 eine Künstliche Intelligenz mit dem Namen „Brauer AI“ (gesprochen: Brauerei) entwickelt, die neue Bierrezepte generiert. Wie die Forschenden dabei genau vorgegangen sind, erklärt er in einem Beitrag auf dem Informatik-Blog der Hochschule. „Für Brauereien ist es angesichts hunderttausender Rezepte enorm schwierig, den Überblick zu behalten“, erklärt Marc Bravin auf der Website der Hochschule Luzern. „,Brauer AI‘ kann sich diesen Überblick nicht nur viel schneller verschaffen als ein Mensch, sondern auch Vorschläge liefern für ein wirklich noch nie dagewesenes Bier.“

Ganz ohne menschliche Unterstützung kommt die KI aber auch nicht aus. Ein erfahrener Braumeister testet die von der KI generierten Rezepte auf ihre Tauglichkeit und passt diese wenn nötig an. Braumeister Adrian Minnig von der Mikrobrauerei MNBrew, der als Brauexperte an dem Forschungsprojekt mitgewirkt hat, sieht die KI als Chance, neue und spannende Kombinationen zu testen, auf die er als Brauer von alleine nicht gekommen wäre.

„Brauer AI“ als Forschungsprojekt der Hochschule Luzern

Und auch KI-Forscher Marc Bravin betont, dass es bei „Brauer AI“ nicht darum geht, den Menschen innerhalb des Brauprozesses zu ersetzen: „Brauer sollten keine Angst vor KI haben, sondern sie als wertvolles Werkzeug betrachten. KI kann ihnen bei wiederholenden Aufgaben helfen, den Brauprozess effizienter machen und den kreativen Prozess des Brauens unterstützen. Unser Forschungsprojekt hat gezeigt, dass KI in der Lage ist, innovative Rezepte zu generieren. Allerdings ist es nach wie vor unerlässlich, dass ein erfahrener Brauexperte beurteilt, ob das Rezept tatsächlich gut schmeckt, bei den Kunden gut ankommt und wirtschaftlich erfolgreich sein wird.“

Ähnlich wie in unserem Alltag soll KI in der Brauerei den Menschen in seiner Arbeit unterstützen, Prozesse verbessern oder den Alltag einfach leichter machen. Auch das Thema der Vertrieb wird niemals von einer Künstlichen Intelligenz übernommen werden können. Hier braucht es den Menschen, der mit seiner Persönlichkeit, seiner Intuition und seiner Menschenkenntnis punkten kann. Kein Computer dieser Welt könnte das abbilden. Auch Bravin ist definitiv überzeugt: „Die besten Ergebnisse erzielen Mensch und Maschine gemeinsam.“

Künstliche Intelligenz in der Brauerei: (k)eine Frage des Alters!

Die Befragten der Envases Umfrage sind sich einig: KI ist ein maßgeblich bestimmendes Zukunftsthema auch in der Brauereibranche. Und dieses Ergebnis erstaunt durchaus, wenn man sich die Altersstruktur der Befragten genauer ansieht. Knapp die Hälfte aller Befragten ist bereits 55 Jahre oder älter. An dieser Umfrage waren folglich weniger die sogenannten Digital Natives beteiligt, sondern Menschen, die bereits vor der digitalen Revolution mit beiden Beinen fest im Berufsleben standen. Dass hier eine solche Chance in der Branche für das Thema KI gesehen wird zeigt, wie innovativ und am Puls der Zeit die Experten und Expertinnen sind. Denn immer neue Zielgruppen mit genau den richtigen Produkten zu überzeugen, das ist etwas, was die Brauereibranche seit Jahrzehnten erfolgreich schafft und bei dem KI den Menschen zukünftig noch viel stärker unterstützen kann!

 

Titelbild, Quelle: Adobestock, ipopba